Interview mit den Norrmans

29. März 2021, 15:37 MESZ

Das vergangene Jahr hat die ganze Welt auf den Kopf gestellt – besonders die Tourismusbranche. In diesem Interview unterhalten wir uns mit Anna und Lars Norrman, die Anfang 2020 keine Ahnung hatten, was dieses Jahr auf sie zukommen würde. Sie verkauften ihr Haus im Herbst 2017 außerhalb von Kopenhagen und zogen aufs Land. Dort eröffneten sie ihr B&B: The Norrmans.

Wenn man auf eure Webseite geht, spürt man sofort, wie leidenschaftlich ihr für euer B&B seid. Kann ich fragen, wann und wie ihr in der Tourismusbranche gelandet seid?

Obwohl wir vor der Eröffnung unseres eigenen B&Bs keine direkte Erfahrung in der Hotellerie hatten, haben wir beide unser ganzes Leben in der Dienstleistungsbranche gearbeitet. Es ist uns also immer sehr am Herzen gelegen. Aber wir wussten nichts über Hotels. Nur, dass wir selbst immer gerne reisten.

Angefangen habt ihr mit einem wunderschönen B&B auf dem Land. Danach habt ihr noch ein weiteres Projekt am Meer gestartet. Wie seid ihr zu dieser Entscheidung gekommen und habt ihr Tipps für jemanden, der eventuell auch expandieren will?

Ja, wir haben uns für eine Erweiterung entschieden und wollten sehen, ob es möglich ist, eine kleinere Unterkunft mit Gewinn zu betreiben. Als wir anfingen, trafen wir viele Leute, die uns auslachten und sagten, dass wir uns zu Tode arbeiten werden und dass wir in ein paar Jahren sehen werden, dass es unmöglich ist, einen Gewinn zu erwirtschaften.

Aber als ich mich hinsetzte und es mal durchrechnete, sah ich, dass sich diese negativen Vorhersagen nicht bewahrheiten würden. Es geht nur darum, die richtigen Preise zu verlangen und genau das anzubieten, was die Gäste wollen. Wir haben eher Hotelpreise und bieten ein besseres Service mit allem Drum und Dran – sind aber immer noch ein B&B. Und es hat bisher sehr gut funktioniert!

Kurz vor Covid-19 kauften wir ein anderes Haus. Die Idee war, dass wir verschiedene Standorte haben und damit verschiedene Dinge anbieten können und für ein anderes Klientel attraktiv sind. Ich liebe dieses Haus. Es befindet sich in einem kleinen Fischerdorf in der Nähe des Meeres. Es ist eine alte und gut erhaltene Schmiede mit einigen Dependenzen, also haben wir beschlossen, sie so zu erhalten, wie sie war, und im Grunde nur ein bisschen Farbe ins Spiel gebracht!

Es ist ein Haus, das man für eine Party mietet. Der Preis bleibt gleich, egal wie viele Leute buchen. Außerdem ist es eine gute Ergänzung: Wir sind im Sommer oft ausgebucht und können dann diesen Standort als Ersatz anbieten.  Außerdem kann man einen Tisch im Restaurant reservieren, wenn man möchte. Alles in allem war es ein guten Schritt. Wir können nun ein zusätzliches Haus zum eigentlichen B&B vermieten.

Habe keine Angst zu scheitern. Scheitern ist, wenn man es nicht einmal versucht.

Kann ich fragen, vor welchen Herausforderungen ihr aufgrund der Covid-19-Pandemie im vergangenen Jahr gestanden seid und wie ihr sie bisher bewältigt habt?

Oh Mann, es war das verrückteste Jahr meines Lebens! Wir waren in Dänemark, hatten aber zu 99% schwedische Buchungen. Am Anfang waren die Grenzen noch offen, so dass es viele Stornierungen und Umbuchungen gab und wir am Ende nur 50% Auslastung hatten, obwohl wir eigentlich ausgebucht waren. Als es dann mit Covid-19 so richtig losging, waren wir den ganzen Sommer über fast ausgebucht und die Wochenenden waren für den ganzen Herbst und Frühling ausgebucht.

Und dann waren da noch die Vorauszahlungen. Es gab potenzielle Liquiditätsprobleme, falls wir all dieses Geld zurückgeben mussten. Zunächst dachten wir, es wäre in Ordnung einen Planungshorizont von 2 Wochen zu haben. Aber dann wurden die Grenzen plötzlich geschlossen und 100% unserer Buchungen verschwanden über Nacht! Das war wirklich eine schwere Zeit für uns. Ohne den ganzen Rückerstattungen wäre es vielleicht gar nicht so schlimm gewesen. Aber so ging es wirklich ums Überleben. Wir hatten eine kleine Investition getätigt und auf dem Bauernhof ein großes Gewächshaus für unseren neuen Koch gebaut. Uns blieben also keine Reserven für regnerische Tage. Außerdem hatten wir dieses Haus gekauft und Geld investiert, kurz bevor alles auseinanderfiel. Es war furchtbar. Als letzten Ausweg haben wir uns an die Gäste gewandt und sie gefragt, ob sie bereit wären, ihre Buchungen einfach zu verschieben, um uns die Rückerstattung zu ersparen. Viele zögerten, weil sie absolut sicher waren, dass wir bankrott gehen würden, aber diejenigen die einverstanden waren, haben uns wirklich geholfen.

Wir versuchten an den Herbst zu denken. Damals dachten wir, dass unsere Branche bis dahin wieder zur Normalität zurückkehren würde. Aber da alle Buchungen im Frühling und Sommer storniert wurden, war es schwierig. Wir hatten kurz vor Covid einige Leute auf der Farm angestellt. Wir dachten, wir müssten sie entlassen. Aber wir waren erstaunt, dass sie bleiben wollten. Im Grunde sagten sie: „Macht euch keine Sorgen wegen dem Gehalt. Wir werden das gemeinsam durchstehen.“ Genau das haben wir getan! In einem einzigen Monat haben wir es geschafft, von 100% schwedischer zu 100% dänischer Gäste zu kommen. Es war einiges an PR-Arbeit notwendig und ich war dabei ziemlich proaktiv. Ich rief Journalisten an und sagte: „Wir haben einen Ort, von dem niemand etwas weiß“, und sie wollten über uns schreiben. Das war genau die Art von Publicity, die wir brauchten.

Wir lesen auf eurem Instagram-Account (@thenorrmans), dass ihr bereit wart, große persönliche Opfer zu bringen, um euer Unternehmen zu retten. Habt ihr das Gefühl, dass diese Pandemie euch geholfen hat zu verstehen, wie wichtig es ist, auf das Schlimmste vorbereitet zu sein?

Ja, absolut. Wir haben unser Auto mit einem Leasingvertrag verpfändet. Es war nicht einmal möglich, das Auto zu verkaufen, da zu diesem Zeitpunkt keiner Geld ausgeben wollte! Wir haben uns mit den Banken zusammengesetzt und unsere Kreditrückzahlungen aufgeschoben. Nur so konnten wir uns über Wasser halten.

Wir haben das Haus behalten, weil die Bank zugestimmt hat, unsere Kredite aufzuschieben. Es wäre auch für sie ein Verlust gewesen, wenn wir es verkauft hätten. In dieser Zeit war einfach kein Geld da irgendetwas zu bezahlen. Um zu überleben, mussten wir diese Vereinbarungen treffen.

Also ja, unsere Welt hat sich sehr verändert. Aber wir lieben unser Unternehmen wirklich und hätten alles geopfert, um es zu retten. Unser letzter Rettungsplan wäre gewesen, dass neu Projekt zuerst aufzugeben, damit wir zumindest das Haus behalten können.

Was sind eurer Meinung nach die größten Herausforderungen für die Zukunft und wie werden sich die nächsten 6 bis 12 Monate noch auf die Hotelbranche und euer Unternehmen auswirken?

Es ist ziemlich schwer zu sagen, aber da ein Impfstoff auf dem Weg ist, denke ich, dass wir langsam aber sicher zur Normalität zurückkehren werden.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich vor dem Frühling viel ändern wird, und wir werden wahrscheinlich keine Konferenzen, Hochzeiten oder Veranstaltungen so wie früher veranstalten. Ich glaube auch, dass es Unternehmen auf dem Land viel besser geht als denen in den großen Städten.

Unser Sommerhaus ist diese Saison bereits voll ausgebucht. Der Wunsch nach Reisen scheint trotz allem immer noch sehr groß zu sein. Wir in der Tourismusbranche sollten also nichts für selbstverständlich nehmen, sondern auf alles vorbereitet sein. Es ist wichtig, dass wir flexibel bleiben und bereit sind, notwendige Änderungen sofort vorzunehmen.

Viele Hotelbesitzer suchen nach Wegen, um in der Krise zu überleben oder sogar zu expandieren. Habet ihr inmitten dieser Schwierigkeiten auch Chancen für euch entdeckt?

Ja! Im Moment bin ich gerade dabei, eine weitere Arbeitskraft für unser Team einzustellen. Jemand, der uns hilft die Auslastung unter der Woche zu optimieren. Außerdem verbessern wir unsere Zusammenarbeit mit nahe gelegenen Veranstaltungsorten. Das Konzept ist noch nicht ganz fertig, aber es geht um Orte, die uns bei Hochzeiten, Konferenzen und Festen sehr helfen werden.

Solche Ding wird es in Zukunft wieder geben und ich glaube, es ist wichtig, sich jetzt schon darauf vorzubereiten. Es wird wahrscheinlich am Anfang mit kleineren Events beginnen und dann allmählich größer werden. Ich glaube nicht, dass sich die Branche in naher Zukunft erholen wird. Aber ich denke, wir werden uns immer noch auf unterschiedliche Weise versammeln wollen. Also beginnen wir darüber nachzudenken, wie wir diesen Bedarf decken können, sobald es wieder los geht.

Wir versuchen außerdem zwei zusätzliche Räume vom Stadtrat genehmigen und finanzieren zu lassen, weil wir das Geschäft ausbauen wollen. Wir wollen mit dem wenigen Geld möglichst kreativ sein.

Was möchtet ihr all denjenigen sagen, die in diesem Frühjahr/Sommer ähnliche Schwierigkeiten haben wie ihr?

Schaue nicht zu weit nach vorne und versuche immer Wege zu finden, wie du dich an die Krise anpassen kannst.

Ich hatte viel Hilfe und Unterstützung von den Menschen um mich herum. Manchmal habe ich einfach kleine Hotels angerufen und ihnen Fragen gestellt wie: „Wie geht es euch? Wie löst ihr dieses Problem? Was denkt ihr darüber?“ Habe keine Angst das zu tun. Ich glaube wirklich, dass wir zusammen stärker sind, und uns die Zusammenarbeit in Zukunft noch sehr helfen wird.

Es ist schwierig, neue Wege zu finden, um Gewinn zu machen und sich an die neuen staatlichen Regeln anzupassen. Es befindet sich alles in ständigem Wandel. Im Moment haben wir ein ausgebuchtes B&B, obwohl die Restaurants geschlossen sind und unser Restaurant eigentlich ein Hauptgrund dafür ist, dass Gäste uns besuchen. Wir haben Tische in jedes Zimmer eingebaut, damit die Gäste dort essen können – sozusagen ein luxuriöser Zimmerservice. Wenn man mich vor einem Jahr gefragt hätte, ob wir unsere Übernachtungspakete zum gleichen Preis verkaufen könnten, wenn die Gäste auf dem Zimmer essen müssen, hätte ich lachen müssen. Aber jetzt weiß ich: es funktioniert! Wir passen uns an und stellen fest, dass sich auch unsere Gäste an die Zeit anpassen, in der wir leben. Es geht darum, über den Tellerrand hinaus zu denken und dann dein Produkt mit  Zuversicht zu verkaufen! Mein Rat? Habe keine Angst zu scheitern. Scheitern ist, wenn man es nicht einmal versucht.